Stellungnahme zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (B-3797/2015)
Die Schweizer Hochschulen müssen für Projekte externer Auftraggeber künftig kostendeckende Preise verrechnen. Dieses Urteil mit Präzendenzwirkung fällte das Bundesverwaltungsgericht zur Vergabe des BAKOM-Auftrags für die Analyse des SRG-Onlineangebots an die Universität Zürich. Das Gericht stellt ein wettbewerbsverzerrendes Verhalten des öffentlichen Anbieters zulasten der Privatwirtschaft fest. Der verbreiteten Praxis an Hochschulen, ihre Drittmittelprojekte mit Steuergeldern zu subventionieren, dürfte damit ein Ende gesetzt sein.
Die Schweizer Hochschulen bestreiten einen immer grösser werdenden Teil ihrer Budgets mit Auftragsforschung und sogenannten Drittmittelprojekten. Nicht selten profitieren dabei die Auftraggeber, Private oder öffentliche Institutionen, von nicht kostendeckenden Tarifen, d.h. ihre Projekte werden vom Steuerzahler quersubventioniert. Besonders fragwürdig ist diese Praxis, wenn die Hochschulen bei der Auftragsvergabe mit Anbietern aus der Privatwirtschaft konkurrieren und diese dank ihren subventionierten Angeboten aus dem Markt drängen. Erstmalig in der Schweizer Rechtsprechung wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVGer) am gestrigen 13. April ein solcher Fall verhandelt. Mit dem Urteil stoppt das Gericht die wettbewerbswidrige Praxis der Hochschulen und ermöglicht der Privatwirtschaft eine Marktteilnahme mit gleich langen Spiessen.
Streitfall: Analyse des SRG-Onlineangebots
Im konkreten Fall geht es um den Auftrag zur Analyse der SRG–Onlineangebote der Jahre 2015 bis 2018, den das Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) Ende Januar 2015 in einem Verfahren nach WTO-Richtlinien öffentlich ausgeschrieben hat. Die Publicom AG, ein privates Medienforschungsunternehmen aus Kilchberg/ZH, reichte Anfang März 2015 ein Angebot ein, das auf einer laufenden Vollerhebung sämtlicher neu publizierten SRG-Onlineinhalte basiert. Neben Publicom reichte auch die Universität Zürich (UZH) (IPMZ, Prof. Latzer), als bisherige Auftragnehmerin, ein Angebot ein und erhielt am 26. Mai 2015 den Zuschlag. Allerdings war der Bewertungsunterschied minim: Die UZH erreichte 9’700 von 10’000 möglichen Punkten, Publicom 9’511.
60 Franken/Stunde: Wissenschaftliche Dienstleistungen zum Lehrlingstarif
Ausschlaggebend war vor allem der um drei Prozent tiefere Gesamtpreis des UZH-Angebots. Publicom bewältigt das 4 Jahres-Projekt in gut 7’300 Arbeitsstunden und kalkuliert einen Stundenansatz von durchschnittlich knapp CHF 100.-, welcher die entstehenden Kosten nur ganz knapp deckt. Die UZH deklariert dagegen einen Projektaufwand von etwa 11’500 Stunden, also rund 4’200 Stunden mehr als Publicom. Dennoch veranschlagt die öffentliche Anbieterin einen um 3 Prozent tieferen Gesamtpreis und generiert einen durchschnittlichen Stundenansatz von nicht einmal CHF 60.-.
Es ist selbstverständlich illusorisch, dass hochqualifiziertes akademisches Personal zu einem Stundenansatz von knapp CHF 60.- kostendeckend arbeiten kann. Zum Vergleich: Der Schweizer Malerunternehmerverband empfiehlt schon für einen Maler-Lehrling im 3. Lehrjahr einen Regie-Stundentarif von CHF 60.25. Bereits eine grobe Einschätzung hat ergeben, dass die UZH den Zuschlag für das SRG Online-Projekt nur deshalb erhalten konnte, weil in der Kalkulation für das BAKOM tatsächlich anfallende Projektkosten im Betrag von rund einer halben Million Schweizer Franken nicht berücksichtigt wurden.
Dieses für Schweizer Hochschulen nicht unübliche Verhalten ist zum gravierenden Nachteil der privaten Mitbewerber. Private müssen es sich deshalb gut überlegen, ob sie überhaupt noch ein aufwändiges und kostspieliges Ausschreibungsverfahren durchlaufen wollen, um schliesslich wiederholt aus Kostengründen zu unterliegen – gegen öffentliche Institutionen mit Zugriff auf scheinbar unversiegbare Quellen an Steuereinnahmen. Der Preis als Zuschlagskriterium verkommt damit zur Farce.
Eine derart ungleiche Konkurrenzsituation ist für die Privatwirtschaft eigentlich nicht hinnehmbar. Dennoch machen seit der Neuorganisation der schweizerischen Hochschullandschaft Mitte der 1990er Jahre viele betroffene Unternehmen die Faust im Sack – regelmässig damit konfrontiert, dass massgebliche Aufträge mit dem Preisargument an die „Profitcenter“ staatlicher Bildungsinstitutionen vergeben werden. Im vorliegenden, besonders drastischen Fall entschied sich das unterlegene Privatunternehmen zu einer Klärung des juristischen Sachverhalts, als Präzedenzfall in der Schweizer Rechtsprechung. Am 15. Juni 2015 hat Publicom vor Bundesverwaltungsgericht Beschwerde gegen den Zuschlagsentscheid des BAKOM zugunsten der UZH und einen Antrag auf dessen aufschiebende Wirkung eingereicht (Geschäfts-Nr. B-3797/2015).
Die Beschwerde erachtet die Projektkalkulation der UZH als sogenanntes Unterangebot, welches gegen das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) und den Verfassungsgrundsatz der Wettbewerbsneutralität staatlichen Handelns verstösst. Zudem verletzt die Kostenberechnung das Universitätsgesetz des Kantons Zürich, insbesondere den Artikel 40 Abs. 3, und ebenso das Finanzreglement der Universität Zürich, dessen Artikel 15 unmissverständlich vorschreibt, die Entschädigung für Drittmittelprojekte sei „marktkonform und mindestens kostendeckend anzusetzen“. Das BVGer hat am 13. Juli 2015 dem Antrag auf aufschiebende Wirkung für die Jahre 2016 bis 2018 stattgegeben.
Professor arbeitet „gratis“
Bei der Akteneinsicht in die Kostenaufstellung der UZH-Offerte bestätigten sich die anfänglichen Befürchtungen: So zeigt sich nicht nur, dass die Hochschule meilenweit von der geforderten Kostenwahrheit entfernt liegt, vielmehr muss auch infrage gestellt werden, ob überhaupt die nötigen Grundkenntnisse vorhanden sind, um eine marktfähige Projektkalkulation zu erstellen.
Zumindest ist die Mängelliste der Kostenberechnung lang und bemerkenswert: So berechnet die UZH für den Gesamtprojektleiter (Prof. Latzer) überhaupt keine Kosten. Der Stundenaufwand des teuersten Projektmitarbeiters ist zwar aufgeführt, er wird jedoch schlicht als „Eigenleistung“ deklariert – was über die vier Jahre einem geschenkten Aufwandsposten von rund CHF 100’000.- entspricht. Ausserdem wird die Berechnung der gesamten übrigen Personalkosten auf der Grundlage einer völlig realitätsfernen Jahresarbeitszeit von 2’200 Stunden (= 42 Wochenstunden x 52 Wochen) vorgenommen, anstelle der üblicherweise maximal 1’900 Stunden nach Abzug von Ferien, Feiertagen und Krankheitsausfällen. Zusammen mit den Sozialleistungen, die ebenfalls etwas zu tief ausgewiesenen werden, und dem darüber hinaus fehlenden Sekretariatsaufwand resultieren rund CHF 200’000.- an Personalkosten, die in der UZH-Kalkulation fehlen.
Ausserdem fehlen in der Offerte der UZH sämtliche übrigen direkten Projektkosten, die gemäss Finanzreglement zwingend auszuweisen sind. Das IPMZ berechnet dem BAKOM weder Sachkosten (z.B. für die – gemäss UZH – extra programmierte Crawler-Software), noch Akquisitions- und Projekteingabekosten oder Aufwände für besondere Risiken. Dadurch entlastet die UZH das Projekt, zuungunsten der Mitbewerber, um einen zusätzlichen Betrag von ca. CHF 100’000.-. Für den sogenannten Overhead – d.h. die indirekten Kosten für Mieten, Infrastruktur, zentrale Dienste u.ä. – setzt die UZH pauschal gut 13 Prozent der Gesamtkosten ein. Gemäss Jahresbericht der UZH beträgt der durchschnittliche Overhead der Universität jedoch über 36 Prozent. Geschätzt addieren sich so weitere rund CHF 200’000.-, die dem Steuerzahler belastet werden.
Steuerzahler subventioniert Projekt mit einer halben Million Franken
Summiert ergeben sich somit reale Kosten von rund CHF 1’200’000.-, die der UZH zur Durchführung der SRG Online-Analyse über die vier Jahre anfallen. Daraus resultiert ein Stundenansatz von durchschnittlich ca. CHF 98.- Dieser liegt rund CHF 38.- über dem eingereichten Angebot und erscheint um einiges realistischer. Eine kostendeckende Offerte, wie sie vom Gesetzgeber gefordert ist, wäre demnach rund eine halbe Million Schweizer Franken bzw. 73 Prozent höher ausgefallen, als von der UZH tatsächlich ausgewiesen.
Ohne das rechtswidrige Unterangebot hätte die UZH-Offerte gegen die Eingabe von Publicom – und möglicherweise auch gegen andere, korrekt kalkulierende Mitbewerber – in der Ausschreibung keine Erfolgschancen gehabt, womit sie im WTO-Verfahren schon früh ausgeschieden wäre.
Präjudiz-Urteil mit weitreichenden Konsequenzen
Nach einer Prozessdauer von zehn Monaten hat das BVGer am 13. April 2016 den Entscheid betreffend SRG Online-Analyse mündlich und öffentlich beraten. Aufgrund der mündlichen Beratung und der angeordneten Fünferbesetzung – statt üblicherweise drei Richter – war davon auszugehen, dass es sich um einen rechtlich bedeutsamen Fall handelt, der Präjudizwirkung hat.
Im Anschluss an die Beratung hat das BVGer den Parteien das Urteil mitgeteilt: Die Beschwerde von Publicom gegen die Quersubventionierung des SRG Online-Projekts durch das IPMZ wird gutgeheissen. Das Gericht geht davon aus, dass die UZH ein verfassungswidriges Unterangebot eingereicht hat, das den Grundsatz der Wettbewerbsneutralität staatlichen Verhaltens verletzt. Zudem verstösst das Angebot gegen vergaberechtliche Grundsätze – und wohl auch gegen Bestimmungen des kantonalen Universitätsgesetzes und des Finanzreglements der UZH.
Die Mängel in der Kalkulation der UZH sind derart offensichtlich, dass die Vergabestelle von sich aus an der Korrektheit der Angaben hätte zweifeln und weitere Erkundigungen einholen müssen. Infolgedessen hat das BVGer die Zuschlagsverfügung zugunsten der UZH aufgehoben und dem BAKOM zur Neubeurteilung zurückgewiesen.
Vergabestellen und öffentliche Anbieter sind nun angehalten, die nötigen Vorkehrungen zu treffen, damit diese Quersubventionierungs-Praxis in Zukunft unterlassen wird. Denn sobald das Urteil rechtskräftig ist, müssen Schweizer Hochschulen für Drittmittelprojekte kostendeckende Kalkulationen erstellen, was weitreichende Konsequenzen für zukünftige Vergaben haben wird. Eine schriftliche Begründung des BVGer steht noch aus. Das Urteil kann beim Bundesgericht angefochten werden.
Weitere Informationen:
Artikel Tages-Anzeiger 13. April 2016
Medienmitteilung Bundesverwaltungsgericht