Die SRG-Programmanalyse 2012 berücksichtigte 14 Vollprogramme in allen Sprachregionen und konzentrierte sich auf die Untersuchung der Integrationsleistungen der Programme.
Die Radioprogramme der SRG bieten eine grosse inhaltliche und formale Vielfalt, welche einerseits die kulturelle und politische Vielfalt des Landes spiegelt, andererseits aber auch verschiedene Radiokulturen, Redaktionsroutinen sowie programmstrategische Ansätze. Sehr uneinheitlich sind die Leistungsniveaus hinsichtlich integrationsrelevanter Programminhalte. Mit Abstand das grösste Integrationsförderungspotenzial weist das kleine Radio Rumantsch auf, deutlich über dem Durchschnitt liegen auch Virus, La Première und Rete Due.
Ein grundsätzliches Differenzierungsmerkmal, das die meisten Angebote in charakteristischer Weise unterscheidet, ist die Aufteilung in Musik- und Wortinhalte. Zwei Programme ragen durch einen sehr hohen Anteil an Wortinhalten hervor: DRS 4 news konzentriert sich ausschliesslich auf aktuelle Informationen, La Première ist ein „Full-Service“-Radio, bei dem die Musik aber nur eine marginale Rolle spielt. Beide wortdominierten Programme weisen einen sehr hohen Informationsanteil auf. Er umfasst bei La Première fast zwei Drittel und bei DRS4 sogar über vier Fünftel der Programminhalte, die zwischen 06.00 Uhr morgens und 22.00 Uhr abends ausgestrahlt werden.
Auch die ersten Programme der Deutschschweiz und der italienischen Schweiz, ebenso wie die zweiten Programme, zeichnen sich durch hohe Wort- und Informationsanteile aus. Musikdominiert sind DRS Virus und Option Musique, die beide nur ein Fünftel Wortanteil aufweisen. Während es sich bei Virus um ein Jugendprogramm handelt, dessen Zielgruppe eine geringere Informationsakzeptanz hat, scheint Option Musique, wie das Musikformat vermuten lässt, auf ein älteres, ländliches Publikum ausgerichtet zu sein.
Kein Platz für Fremd- bzw. andere Landessprachen
Die SRG-Radioprogramme werden in der Regel ausschliesslich in den jeweiligen regionalen Landessprachen ausgestrahlt. Eine Ausnahme macht Radio Rumantsch, dessen Informationsangebot im Prinzip zweisprachig (rätoromanisch/deutsch) ist. In gewisser Hinsicht auch ein Sonderfall sind die DRS-Radios: DRS 2 und DRS 4 produzieren ihre Wortbeiträge überwiegend in Hochdeutsch, während die anderen Programme einen Mix aus Schweizerdeutsch und Hochdeutsch praktizieren. Insbesondere auf DRS 1 und DRS 3 ist die Mehrheit der Wortbeiträge in Schweizerdeutsch. In der Konsequenz bedeutet dies, dass ein grosser Teil des Programms von Menschen, die des Dialekts nicht mächtig sind, nicht verfolgt werden kann. Es betrifft dies nicht nur Ausländer, sondern vor allem auch Landsleute aus der italienischen Schweiz und der Romandie. Sendungen in Fremdsprachen gibt es in keinem der 14 analysierten SRG-Programme während der untersuchten Sendezeit¹. Das Ziel der Publikumsnähe und der Integrationsauftrag konstituieren hier einen schwer auflösbaren Zielkonflikt.
Starke Auslandorientierung – geringe Beachtung der anderen Sprachregionen
Die meisten Programme legen grossen Wert auf eine ausführliche Auslandberichterstattung. In der Regel liegt der Anteil der Auslandthemen um die 50%. Die beiden Kulturprogramme Espace 2 und DRS 2 sind aber noch weit stärker, Radio Rumantsch deutlich weniger auf das Ausland ausgerichtet.
Zwar kann eine Integrationswirkung auch von nationalen Themen angenommen werden, vor allem aber ist die Thematisierung von Geschehen in den jeweils anderen Sprachregionen Voraussetzung dafür, dass sich das Publikum Kenntnisse über die anderen Landesteile erwerben kann. Insgesamt konzentrieren sich die Programme mit Ausnahme von Radio Rumantsch vornehmlich auf das Ausland, nationale Themen und die eigene Sprachregion. Nur vergleichsweise wenig interessieren die anderen Sprachregionen. Die gemessenen Anteile liegen in der DRS-Region nur bei DRS 4 (5%) und Virus (6%) über vier Prozent der Informationsleistung. Die RTS-Programme gewichten die anderen Sprachregionen um eine Spur höher, nämlich zwischen vier (La Première) und acht Prozent (Option Musique). Noch etwas mehr, zwischen acht (Rete Uno) und zehn Prozent (Rete Due), berichten die Programme der italienischen Schweiz über die anderen Sprachregionen. Am stärksten nimmt Radio Rumantsch die anderen Sprachregionen (16%) wahr. Relativierend ist hier noch anzumerken, dass Ereignisse in der italienischen Schweiz kaum je Beachtung finden, weder in den DRS- noch in den RTS-Programmen. Umgekehrt berichten auch die Programme der italienischen Schweiz weit häufiger über die Deutschschweiz als über die Romandie.
In der Romandie und der italienischen Schweiz steht die Beachtung der anderen Sprachregionen in scharfem Kontrast zum Interesse für das direkte Nachbarland. So widmet z.B. Rete Due Geschehen in Italien doppelt soviel Zeit wie Ereignissen in anderen Sprachregionen, und Espace 2 berichtet über Frankreich sogar sechsmal so häufig wie über die Deutschschweiz und das Tessin. Bemerkenswerterweise ist die Dominanz des grossen Nachbarn in der Deutschschweiz weit geringer, was aber nichts daran ändert, dass das Deutschschweizer Publikum sogar noch weniger über die anderen Landesteile erfährt als die Tessiner und die Romands. Dieses Gesamtbild hat sich bereits in den Vorjahren gezeigt. In den Programmen der Deutschschweiz und der Romandie blieb die Beachtung der anderen Sprachregionen konstant, in den RSI-Programmen hat sie noch abgenommen.
Konzessionsrechtlich relevante Themen: Nur ‚Schweizer Kultur‘ regelmässig präsent
Von den konzessionsrechtlich relevanten Themen wird lediglich Schweizer Kultur in allen Programmen substanziell thematisiert. Der Zusammenhalt und Austausch der Landesteile und Religionen, die Integration der Ausländer und die Auslandschweizer werden hingegen nur punktuell zum Thema. Der einzige Sender, der diese Themen mit einer gewissen Regelmässigkeit angeht, ist Radio Rumantsch. In der DRS-Region fallen zudem Virus und DRS 4 mit grösseren Thematisierungsleistungen (insbesondere Schweizer Kultur) auf. In der Romandie sind es vor allem La Première und Espace 2, in der RSI-Region Rete Uno und Rete Due, welche konzessionsrechtlich relevante Themen aufgreifen. Im Mehrjahresvergleich lässt sich in der Deutschschweiz (vor allem bei DRS 2) und in der Romandie eine zunehmende, in der italienischen Schweiz eine abnehmende Tendenz erkennen.
Der Beitrag der meisten SRG-Radios zum Zusammenhalt der Landesteile, zum Austausch zwischen den Religionen, zur Integration der Ausländer und zum Kontakt mit den Ausland-schweizern ist somit – zumindest, was die Thematisierungsleistung anbelangt – kaum erkennbar. Mit Ausnahme des Kulturthemas, das teilweise durch programmkonzeptionelle Besonderheiten favorisiert wird (Kultur- und Musikprogramme), ist die Berücksichtigung der konzessionsrechtlich relevanten Themen meistens von Zufälligkeiten bzw. einer spezifischen Ereignislage (z.B. politische Vorstösse, Volksinitiativen o.ä.) abhängig. Programmstrategische Ansätze zur Berücksichtigung dieser Themen sind in der Regel nicht erkennbar.
Äusserst unterschiedliche Präsenz von Schweizer Interpreten in den Musikprogrammen
Musik in Schweizer Landessprachen ist in der deutschen und italienischen Schweiz eher die Ausnahme als die Regel, ansonsten dominiert Englisch. In der Romandie bevorzugen La Première und Option Musique Titel in französischer Sprache. Titel in anderen Landessprachen sind in der Romandie aber nur gelegentlich, in den RSI-Programmen fast nie zu hören. Analog gilt dies auch für die Deutschschweiz, wobei DRS 1 und Radio Rumantsch die Ausnahmen darstellen.
Der Stellenwert von Schweizer Interpreten in den Musikprogrammen der analysierten SRG-Radios ist äusserst unterschiedlich. In der italienischen Schweiz gelangen Titel mit Schweizer Interpreten nur sporadisch ins Programm. In der RTS-Region geschieht dies mit Ausnahme von Option Musique häufiger. In der Deutschschweiz fallen insbesondere Musikwelle und vor allem Virus durch eine sehr starke Berücksichtigung einheimischer Künstler auf. Den höchsten Anteil weist jedoch wieder Radio Rumantsch auf, dessen Musikprogramm zu gut zwei Fünfteln aus Titeln von Schweizer Interpreten besteht.
Integrationsrelevante Programmleistungen: Spitzenstellung von Radio Rumantsch
Insgesamt weist Radio Rumantsch das mit Abstand grösste Potenzial hinsichtlich allfälliger Integrationseffekte auf. Es folgen Virus und La Première. Im Falle von Virus ist das eher überraschend und mit dem hohen Gewicht, den die Schweizer Musikszene im Programm geniesst, zu erklären. Vergleichsweise hohe Werte erzielt auch Rete Due, während Rete 3, DRS 3 und DRS 1 die niedrigsten Leistungswerte aufweisen.
Insgesamt bilden die SRG-Radioprogramme nicht nur ein breites Spektrum an formalen und inhaltlichen Programmangeboten ab, sondern sie fallen auch durch uneinheitliche Leistungsniveaus hinsichtlich integrationsrelevanter Programminhalte auf. Dabei handelt es sich, wird der „Sonderfall“ Radio Rumantsch ausser acht gelassen, weniger um allenfalls kulturell bedingte Unterschiede zwischen den Sprachregionen, sondern vielmehr um Unterschiede zwischen den einzelnen Programmen. Dies verleitet zur Annahme, dass die Platzierung integrationsrelevanter Inhalte in den SRG-Radioprogrammen viel stärker vom Sendermanagement oder von zufälligen Produktionsroutinen abhängig ist als von einer übergreifenden Strategie. Eine solche wäre aber unverzichtbar, wenn die Radioprogramme der SRG ihren Beitrag zur Förderung der nationalen Identität und Integration verstärken sollen.
¹Im Unterschied zu einigen Privat- bzw. Komplementärradios, die solche Sendungen in ihren Programmen haben.
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Rapport de l’étude (en français)