Privatradios: Selektive Berücksichtigung des Versorgungsgebiets

Programmanalyse private Veranstalter (2009)

Seit 2009 analysiert eine Arbeitsgemeinschaft unter Leitung von Publicom im Auftrag des Bakom die Radioprogramme der privaten Veranstalter. Die erste Studie befasst sich mit den Programmen in den Kantonen Tessin und Bern. Die acht untersuchten Programme repräsentieren ein breites Spektrum an Begleitprogrammen, deren wichtigstes gemeinsames Merkmal der hohe Anteil an mehrheitsfähiger Popmusik ist. In der Information konzentrieren sich die meisten Programme auf die Region, die Forderung nach einer „umfassenden“ Berücksichtigung des Konzessionsgebietes erfüllt jedoch kaum ein Sender.

 

Im ersten Jahr der Analyse der privaten Radioprogramme, welche die Arbeitsgemeinschaft Publicom AG, Università della Svizzera italiana und Université de Genève im Auftrag des Bundesamtes für Kommunikation realisiert, lag der Schwerpunkt auf den Privatradioprogrammen der Kantone Bern und Tessin. Untersucht wurden die Programme von Capital FM, Radio BE 1 (jetzt Energy Bern), Radio BeO, Radio Neo 1, Canal 3 (deutsches und französischsprachiges Programm), Radio 3iii und Radio Fiume Ticino. Berücksichtigt wurde die Woche vom 12. bis 18. Oktober 2009 jeweils in der Prime Time von 06.30 Uhr bis 08.30 Uhr, von 11.30 Uhr bis 13.30 Uhr und von 17.00 Uhr bis 19.00 Uhr. Für die Musikanalyse wurde der Stichtag vom 14. Oktober, 06.30 Uhr bis 18.30 Uhr, erhoben. Dies ergab ein Total von 424 analysierten Sendestunden, da im Tessin wegen eines Stromausfalls acht Programmstunden verloren gingen.

 

Zielgruppenspezifische und radiokulturelle Differenzierungen

Die acht untersuchten Privatradioprogramme in den Kantonen Bern und Tessin repräsentieren ein breites Spektrum an Begleitprogramm- Konzeptionen, deren wichtigstes gemeinsames Merkmal der hohe Anteil an mehrheitsfähiger Popmusik ist. Innerhalb dieses Musikspektrums gibt es aber durchaus Differenzierungen, welche dazu beitragen, den Sender gegenüber Mitbewerbern abzugrenzen.

Letzteres geschieht auch durch weitere Programmcharakteristika, wie zum Beispiel den Wortanteil, der bei Radio BeO mit 44% doppelt so hoch ist wie bei Canal 3 (d), aber auch durch den Anteil an Information, der ebenfalls erheblich schwankt und von 9% bei den auf ein junges Publikum ausgerichteten BE 1 und Fiume Ticino bis 22% (BeO) reicht. Auch sind thematische Akzentuierungen zu beobachten, die ebenfalls auf zielgruppenspezifische Differenzierungen schliessen lassen. So beanspruchen etwa politische Themen bei BE 1 und Fiume Ticino nur ein Fünftel des Informationsangebots, während diese bei Capital FM fast doppelt soviel ausmachen. Dazu kommen Programmcharakteristika, die wohl auf unterschiedliche Radiokulturen in der deutschen Schweiz und den lateinischen Landesteilen zurückzuführen sind: Wirtschaft beispielsweise hat in allen untersuchten deutschsprachigen Privatradioprogrammen einen recht hohen Stellenwert, in den beiden Tessiner Programmen und im französischen Programm von Canal 3 jedoch nur geringe Bedeutung. Am auffälligsten sind jedoch die Unterschiede bezüglich Werbung in den Berner und Tessiner Privatradios: Während der Anteil der Werbung am Gesamtprogramm in den untersuchten Programmstrecken bei den Berner Radios zwischen zwei (Canal 3) und vier Prozent (Capital FM, BE 1) schwankt, nimmt er bei 3iii ganze 16% der Programmzeit in Anspruch. Hier spielen offenbar regionale Besonderheiten des Radiowerbemarktes, der im Tessin stark von italienischen Anbietern beeinflusst wird, eine entscheidende Rolle.

Diese unterschiedlichen Programmkonzeptionen tragen insgesamt zu einer vielfältigen privaten Programmlandschaft bei. Die Differenzierung spielt sogar bei den beiden Programmen von Canal 3, die sich unter einem einzigen verlegerischen Dach befinden – und zwar nicht nur aufgrund der Verwendung unterschiedlicher Sprachen im Programm, sondern auch durch thematische und formale Akzentuierungen, sowie durch Differenzierung im Musikformat.

Formal zeigen sich insofern Parallelen, als dass in der Regel auf aufwändige Präsentationsformen verzichtet wird. Die Information wird zum grossen Teil in Form von Nachrichten vermittelt, wobei kurze Meldungen und Statements oder Interviews dominieren. Verschiedene radiokulturelle Gepflogenheiten zeigen sich beim Einsatz von Interviews, die nicht nur bei den Tessiner Programmen, sondern auch beim französischen Programm von Canal 3 einen markant höheren Stellenwert haben als auf den deutschsprachigen Sendern.

 

Unterschiede hinsichtlich Gewichtung der Themen-Bereiche

Information hat auf allen Sendern einen mehr oder weniger grossen Stellenwert und umfasst ein breites Angebotsspektrum von Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Sport und Kultur. Zwischen den einzelnen Sendern bestehen aber teilweise markante Unterschiede hinsichtlich der Gewichtung der Themenbereiche. So gewichtet Capital FM politische und wirtschaftliche Themen am höchsten, den höchsten Anteil an Sport hat Canal 3 (d), und den höchsten Kulturanteil Fiume Ticino. Die emotionalisierenden Themen ‚Bad News‘ (Unfälle, Verbrechen, Katastrophen) und ‚Human Interest‘ (Prominente, Stars, Kuriosa) bewegen sich in der Regel in einem schmalen Band zwischen 7 und 9% des gesamten Informationsoutputs, d.h. solche Themen werden nicht höher gewichtet als in den SRG-Radioprogrammen. Von diesem Muster weichen nur Fiume Ticino und Canal 3 (f) ab: Das Tessiner Privatradio behandelt solche Themen deutlich häufiger, das französischsprachige Programm von Canal 3 wesentlich seltener als die übrigen analysierten Privatradios.

Obwohl alle Stationen bemüht sind, ein möglichst umfassendes Ereignisbild zu vermitteln, d.h. auch internationale und nationale Themen berücksichtigen, richten sie sich stark auf den geografischen Nahbereich aus. Es zeigt sich aber, dass streng genommen kaum ein Sender die in den Konzessionen fest geschriebene Forderung nach einer umfassenden Berücksichtigung des Versorgungsgebietes erfüllt. Stattdessen wird in der Regel der Senderstandort bzw. der Standort-Kommunikationsraum bevorzugt. Es fragt sich allerdings, wie sinnvoll bzw. realitätsbezogen diese politische Forderung ist, angesichts der teilweise sehr heterogenen Versorgungsgebiete mit äusserst unterschiedlichen Ereignisvoraussetzungen und der harten Wettbewerbssituation in gewissen Gebieten (Tessin, Grossraum Bern).

Mit der in der journalistischen Berufskultur hoch gehaltenen Transparenznorm gehen die analysierten Privatradios zum Teil sehr locker um: Während bei Canal 3 (f) und Capital FM die Quellen für das Publikum bloss in rund einem Fünftel des Informationsoutputs nicht erkennbar sind, steigt dieser Anteil bei Radio BeO auf fast die Hälfte und bei Fiume Ticino sogar noch darüber. Wie die Radios an die Quellen gelangen, ob über eigene Recherche, Agenturen oder als Reaktion auf Medienkonferenzen und –mitteilungen, machen nur BE 1 und Canal 3 (f) in grösserem Rahmen, d.h. in rund der Hälfte der Informationsbeiträge, deutlich. Bei den anderen Radios liegen die diesbezüglichen Werte zum Teil deutlich tiefer.

 

Privatradios verschaffen auch nicht-behördlichen Quellen Gehör

Dass die gesellschaftlich starken Kräfte in den Medien stärker berücksichtigt werden als die schwächeren, wird in Medieninhaltsanalysen immer wieder bestätigt. Im Falle der untersuchten Privatradios trifft dies zumindest für die Wirtschaftsthemen ebenfalls zu: Wirtschaftsberichterstattung ist in erster Linie Unternehmensberichterstattung und basiert fast ausschliesslich auf Unternehmensquellen. Umso überraschender ist, dass dieses Machtgefälle im Bereich der politischen Themen bei den analysierten Privatradios viel geringer ist: Diese versuchen offensichtlich den Einfluss der politischen Exekutiven auf die Berichterstattung in Grenzen zu halten, indem sie auch legislativen Stimmen Gehör verschaffen, und zwar deutlich stärker als dies etwa die öffentlichen Radios der SRG tun (es ist allerdings nicht auszuschliessen, dass die geringe Quellentransparenz dieses Ergebnis etwas verzerrt, dies wäre dann der Fall, wenn unter den nicht offen gelegten Quellen die Behörden überdurchschnittlich vertreten wären).

Gemäss Konzession sollen die privaten Radios eine Vielfalt von Meinungen abbilden. Da die Information in den untersuchten Privatradios stark news- bzw. faktenorientiert ist, kommen Meinungen primär in Statements und Interviews zum Ausdruck. Im Bereich der politischen Themen herrscht, wie oben gezeigt, bei den meisten analysierten Radios eine recht ausgewogene Verteilung der Kräfte zwischen Exekutive und Legislative. In Bezug auf die Kräfteverhältnisse zwischen den verschiedenen Parteien lässt sich feststellen, dass in keinem der Privatradios eine einzige Partei systematisch bevorzugt wird, wenngleich in Einzelfällen gewisse Präferenzen für bestimmte politische Richtungen sichtbar werden. Diese können jedoch auf Besonderheiten der Stichprobe oder spezifische Ereigniskonstellationen zurückzuführen sein.

Wenn in einem gegebenen thematischen Kontext verschiedene Meinungen und Perspektiven präsentiert werden, trägt dies ebenfalls zu einem ausgewogenen Meinungsbild bei. Es zeigt sich jedoch, dass dies in faktenorientierten Informationskonzepten, wie sie das Medium Radio überwiegend praktiziert, nicht sehr häufig der Fall ist – bei den analysierten Privatradioprogrammen in der Regel noch weniger als bei den SRG-Sendern. Bei einigen Radios (BE 1, Capital FM, Neo 1, 3iii) sind jedoch durchaus Ansätze zu erkennen, die Meinungsspektren zu einem bestimmten Thema etwas breiter auszuleuchten und damit dem Publikum Orientierungshilfen für die Meinungsbildung zur Verfügung zu stellen.

Produkte

  • MediaBrands

    Einzige Intermediastudie der Schweiz zur qualitativen Wahrnehmung und Nutzung von Medienmarken. Grundlage für eine erfolgreiche Markenführung und qualitatives Argumentarium für die Mediaselektion.

    Weitere Informationen

  • KommPass

    Instrument zur Schaffung eines umfassenden Überblicks über die Wahrnehmung der kommunalen Kommunikationstätigkeiten. Stellt die Voraussetzungen für Kommunikation her, die sich an die Bevölkerung richtet.

    Weitere Informationen

  • Befragungen

    Qualitative und repräsentative Befragungen für Projekte in Medien und Kommunikation. Die Methode, telefonisch, online oder  face-to-face wird projektbezogen und je nach Anforderung eingesetzt.

    Weitere Informationen

  • Reputationsmonitoring

    Differenzierte Analyse der Medienberichterstattung zu Unternehmen: Meinungsklima, Reputationsdynamiken sowie Themenentwicklungen erkennen und Kommunikationschancen nachhaltig nutzen.

    Weitere Informationen

  • Focus Groups

    Effizientes Instrument zur Problemexploration und für „work-in-progress“-Evaluationen, z.B. bei Neuausrichtungen und Konzepterneuerungen von Medienprodukten oder als Pre-Test für Kampagnen.

    Weitere Informationen

  • Qualitätsmanagement in Redaktionen

    Organisation und Prozesse beeinflussen massgeblich das Medienprodukt. Publicom ist Bakom-Evaluator zur Qualitätssicherungs-Überprüfung bei Radio- und TV-Veranstaltern.

    Weitere Informationen

  • Konzeptüberprüfung

    Für Erfolg in dynamischen Märkten bedarf es regelmässiger Konzeptüberprüfungen. Publicom verfügt über ein leistungsfähiges und bewährtes Instrumentarium zur konzeptionellen Evaluation analoger und digitaler Medien.

    Weitere Informationen

  • ISAS BC/P 9001

    Internationale Qualitätsnorm für Medienunternehmen und Redaktionen, die ihre  Organisation und Prozesse systematisch auf Qualität ausrichten. Publicom begleitet kompetent bis zur Zertifizierung.

    Weitere Informationen

  • CM Basic Check®

    Experten-Check zur Überprüfung von Unternehmens- und Fachmedien hinsichtlich Strategie, Publizistik und Kosten. Zeigt Stärken und Schwächen auf und liefert ein differenziertes Benchmarking.

    Weitere Informationen

  • CP StandardTM

    Erfolgsnachweis für Kundenmagazine: Repräsentative Zielgruppen-Befragung liefert Benchmarks zu Nutzung, Akzeptanz, Zufriedenheit, Kommunikationsleistung und Kundenbindungseffekt.

    Weitere Informationen

 
Kommpass Kommpass