Seit 2008 analysiert eine Arbeitsgemeinschaft unter Leitung von Publicom im Auftrag des Bakom die Radioprogramme der SRG SSR. Die aktuelle Studie zeigt eine vielfältige SRG-Radiolandschaft mit zahlreichen sprachregionalen Eigenheiten. Der Integrationsauftrag gerät aber vereinzelt aus dem Blick. So berichten die ersten Programme im Tessin und in der Romandie markant häufiger über ihre direkten Nachbarländer als über die anderen Sprachregionen, und der Kultursender DRS2 thematisiert kaum Schweizer Kultur.
Im zweiten Jahr der Analyse der SRG-Radioprogramme, welche die Arbeitsgemeinschaft Publicom AG, Università della Svizzera italiana und Université de Genève im Auftrag des Bundesamtes für Kommunikation realisiert, lag der Schwerpunkt auf der deutschen und rätoromanischen Schweiz. Untersucht wurden DRS 1, DRS 2, DRS 3 und Radio Rumantsch, sowie die beiden Ersten Programme der anderen Sprachregionen, La Premiére (RSR 1) und Rete Uno. Berücksichtigt wurde die Woche vom 30. März bis 5. April 2009 jeweils von 06.00 Uhr bis 22.00 Uhr. Dies ergab ein Total von 672 analysierten Programmstunden.
La Première: Radio zum Hinhören
Die sechs analysierten Programme weisen zum Teil sehr unterschiedliche Programmstrukturen auf. RSR 1 ragt als eigentliches Wortradio heraus. Sein Wortanteil liegt bei 85%, was angesichts des seit Jahren anhaltenden weltweiten Trends zum musikbasierten Begleitradio anachronistisch anmuten mag, doch zeigt der anhaltende Publikumserfolg dieses Konzepts, dass das Radio zum Hinhören noch nicht ausgedient hat. RSR 1 ist jedoch die Ausnahme unter den SRG-Radios. Bei den übrigen ist Musik der Hauptinhalt. Die Informationsanteile bewegen sich zwischen 17% (DRS 3) und 62% (RSR 1).
Alle sechs Programme zeichnen sich durch professionelle Präsentationsformen und einen vielfältigen Formen-Mix aus. Die Unterschiede zwischen den Sprachregionen und den einzelnen Sendern sind aber zum Teil beträchtlich. So ist Rete Uno und RSR 1 ein ausgesprochen kolloquialer Präsentationsstil eigen, der in den anderen untersuchten Programmen weniger praktiziert wird. In der deutschen Schweiz hingegen fällt ein eigenwilliger Umgang mit Dialekt und Schriftsprache auf. Fast ganz verzichtet nur DRS 2 auf Mundart, während auf DRS 1 und DRS 3 Dialekt Standard ist – ausser in den Nachrichten und klassischen Informationsmagazinen.
Die sechs untersuchten Sender setzen in der Information zum Teil sehr unterschiedliche thematische Akzente. RSR 1 bietet den vielfältigsten Themen-Mix mit einem Schwergewicht auf Gesellschaft und Kultur, aber auch Natur- und Umweltthemen oder Wissenschaft und Forschung nehmen einigen Raum ein. DRS 2 weist eine ähnliche Themenstruktur auf – allerdings mit dem klaren Akzent auf Kultur. DRS 1 gewichtet Politik am stärksten, und auch Wirtschaft erhält vergleichsweise viel Aufmerksamkeit. Dies gilt auch für DRS 3, das aber ein weiteres Schwergewicht auf Sport legt. Rete Uno pflegt den Sport sogar noch stärker und bietet dazu einen ausgewogenen Mix zwischen Politik, Gesellschaft und Kultur. Radio Rumantsch liegt thematisch nahe bei DRS 1 und DRS 3, ist jedoch etwas weniger politikfokussiert und betont Kulturthemen stärker. Die drei Deutschschweizer Programme bieten in thematischer Hinsicht eine gewisse Komplementarität. Diese entsteht aber vor allem durch die Musik. Im Vergleich zur Westschweiz1 sind die DRS-Programme klar weniger abgegrenzt (Vgl. Arbeitsgemeinschaft Publicom/USI/UNIGE: Analyse der Radioprogramme der SRG SSR idée suisse 2008/2009, S. 29ff.).
Fokus auf Nachbarländern im Tessin und in der Romandie
Alle SRG-Radioprogramme messen dem Geschehen im Ausland einen sehr hohen Stellenwert bei. In den Programmen von DRS 2 und RSR 1 nehmen Ereignisse im Ausland deutlich mehr als die Hälfte der gesamten Informationsleistung in Anspruch. In den Programmen von RSR 1 und Rete Uno konzentriert sich die Auslandberichterstattung auf den „next door giant“ Frankreich bzw. Italien. Insbesondere RSR 1 ist stark auf Frankreich ausgerichtet. Ereignissen im westlichen Nachbarland wird fast ebensoviel Aufmerksamkeit eingeräumt wie dem Geschehen in der eigenen Sprachregion und fünfmal mehr als Ereignissen in der deutschen und italienischen Schweiz.
Neben dem Ausland richtet sich der Fokus auf Geschehen in der Schweiz bzw. in der eigenen Sprachregion. Die drei DRS-Programme und RSR 1 nehmen die jeweils anderen Sprachregionen kaum zur Kenntnis. Stärker ist dies bei Rete Uno, noch stärker bei Radio Rumantsch der Fall. Der Vergleich zum Vorjahr, der nur für die ersten Programme möglich ist, zeigt wenig Bewegung: Bei DRS 1 ist der ohnehin geringe Anteil an Berichterstattung über die anderen Sprachregionen trotz programmlichen Massnahmen sogar noch zurückgegangen. RSR 1 berichtet kaum häufiger über die anderen Sprachregionen als im Vorjahr. Nur Rete Uno hat noch einmal zugelegt.
Die SRG sollte gemäss Konzession zum Zusammenhalt und Austausch zwischen den Landesteilen und Sprachgemeinschaften beitragen. Inwiefern dies geschieht, kann eine Inhaltsanalyse nur sehr beschränkt ermitteln. Wird unterstellt, dass die Berichterstattung über die anderen Landesteile eine Integrationswirkung zur Folge hat, indem sie etwa dazu beiträgt, das Verständnis für die jeweils andere Sprachregion zu fördern, ist festzuhalten, dass eine solche allenfalls von Radio Rumantsch und Rete Uno erbracht wird. Wird überprüft, inwieweit die Integrationsproblematik in den Programmen thematisiert wird, ist festzuhalten, dass in der Untersuchungswoche nur Radio Rumantsch diese Aspekte wahrnehmbar thematisiert. Es dürfte kein Zufall sein, dass die schwächste Sprachminorität für dieses Anliegen besonders sensibel ist.
DRS-Kultursender ohne Schweizer Kultur
Auch die Förderung von Schweizer Kultur gehört zu den konzessionsrechtlich geforderten Aufgaben der SRG. Die Radios können diese Leistung – sehr direkt – erbringen, indem sie der Schweizer Musik einen entsprechenden Platz einräumen: Die DRS-Radios, insbesondere Radio Rumantsch, DRS 1 und DRS 3 tun dies ausgiebig. Auch RSR 1 hat einen substanziellen Anteil an Schweizer Musik im Programm, einzig Rete Uno leistet sich nur spärlich schweizerische Musikkultur. Was die Thematisierung von Schweizer Kultur in den Informationen der SRG-Programme anbelangt, ergibt sich ebenfalls ein differenziertes Bild: Radio Rumantsch befasst sich mit Abstand am intensivsten mit Schweizer Kultur. Auch RSR 1 räumt ihr eine gewisse Bedeutung ein. Etwas irritierend ist aber, dass ausgerechnet der Kultursender DRS 2 Schweizer Kultur praktisch ausblendet.
Eine zentrale Rolle in Bezug auf die in der Konzession genannten Qualitätskriterien Glaubwürdigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Relevanz und journalistische Professionalität spielt die Vielfalt der Akteure, Meinungen und Quellen, sowie die Transparenz bezüglich der Informationsquellen.
Was die Akteure anbelangt, reflektiert sich die thematische Vielfalt der Programme. Am häufigsten treten Akteure aus Gesellschaft, Politik und Wirtschaft in Erscheinung. Kulturakteure sind deutlich weniger präsent.
Starker Einfluss der politischen Behörden
Soweit die Quellen bzw. Informationsurheber für den Hörer transparent gemacht werden, präsentiert sich ein ähnliches Bild. Da die Quellen qualitative Aspekte der Berichterstattung wesentlich mit beeinflussen, gilt hier aber den Kräfteverhältnissen besondere Aufmerksamkeit. Die politischen Quellen der Exekutive haben auf allen SRG-Sendern, vor allem aber in den DRSProgrammen, ein markant höheres Gewicht als Parteien oder andere legislative Organe. Insofern Parteien als Quellen auftreten, was vergleichsweise selten vorkommt, kann jedoch auf eine ausgewogene Verteilung der politischen Kräfte geschlossen werden.
Quellentransparenz wäre – insbesondere im Internetzeitalter, wo Informationen auf den undurchsichtigsten Wegen an die Öffentlichkeit gelangen – ein wichtiges Gebot. Woher die Informationen stammen, wird in den SRG-Radios sehr unterschiedlich transparent, was auf recht verschiedene journalistische Kulturen schliessen lässt. RSR 1 zum Beispiel macht die Informationsurheber überdurchschnittlich häufig kenntlich. Andere (DRS 3, Radio Rumantsch, Rete Uno) sind diesbezüglich weniger transparent. Auch der Quellenzugang, also ob eine Information z.B. aufgrund einer Medienkonferenz, einer Pressemitteilung oder eigener Recherchen zustande kommt, ist für den Hörer oft, d.h. in rund der Hälfte der Informationsbeiträge, nicht erkennbar.
Eine wichtige Funktion der SRG-Medien besteht darin, das Spektrum von Meinungen und Perspektiven zu bestimmten Sachverhalten aufzuzeigen. Für das Publikum am einfachsten geschieht dies, wenn in einem gegebenen thematischen Kontext auf unterschiedliche Positionen hingewiesen wird. Dies wäre insbesondere im Hinblick auf die Befähigung des Publikums zur Meinungsbildung und politischen Teilhabe von einiger Bedeutung. Da Information am Radio häufig aus blosser Vermittlung von Fakten besteht, ist es klar, dass dies nicht immer möglich ist. Die SRG-Radios bieten diesen Service denn auch in unterschiedlichem Ausmass: Am deutlichsten treten unterschiedliche Perspektiven und Meinungen in den Ersten Programmen der französischen und italienischen Schweiz auf, also dort, wo gesprächsorientierte Präsentationsformen besonders häufig vorkommen. Die Detailanalyse zeigt denn auch, dass verschiedene Meinungen und Perspektiven am ehesten in Gesprächen, Interviews und Presseschauen aufscheinen, viel 5 seltener in den klassischen Nachrichtengefässen, in denen dem Publikum meistens nur eine Perspektive aufgezeigt wird.