SRG-Radios unter der Lupe

Seit 2008 untersucht Publicom im Auftrag des Bakom und in Zusammenarbeit mit den Universitäten von Genf und der italienischen Schweiz die SRG-Radioprogramme. Ein erster Bericht wurde inzwischen veröffentlicht. Es zeigt sich, dass die Programme der SRG zwar ein hohes professionelles Niveau aufweisen, dass aber insbesondere die Deutschschweizer und Westschweizer Programme wenig dazu beitragen, den Austausch zwischen den Landesteilen und Sprachgemeinschaften zu fördern.

Im Startjahr der Analyse der SRG-Radioprogramme, welche die Arbeitsgemeinschaft Publicom AG, Università della Svizzera italiana und Université de Genève im Auftrag des Bundesamtes für Kommunikation realisiert, stand die Romandie. Untersucht wurden La Première, Espace 2 und Couleur 3, sowie die beiden Ersten Programme der anderen Sprachregionen, DRS 1 und Rete Uno. Berücksichtigt wurde die Woche vom 13. bis 19. Oktober 2008, jeweils von 06.00 Uhr bis 22.00 Uhr. Dies ergab ein Total von 560 analysierten Programmstunden.

Die Radioprogramme der SRG SSR idée suisse zeichnen sich durch regionaltypische, charakteristische Ausprägungen aus. In der Romandie ist eine deutlich komplementäre Ausrichtung der Programme zu beobachten: La Première ist als Informationsprogramm mit einem sehr hohen Wortanteil konzipiert. Die Musik dient eher als Verbindung zwischen den Wortbeiträgen und ist wenig fokussiert. Espace 2 sendet ein Kulturprogramm mit einem hohen Anteil an Kulturinformation, eingerahmt von vorwiegend klassischer Musik. Couleur 3 ist ein modernes Begleitprogramm mit einem hohen Musikanteil, der innerhalb des Pop-Rock-Spektrums einen relativ breiten Stil-Mix abdeckt. Insgesamt bieten diese Programme eine beachtliche Vielfalt an Themen, Formen und Musikstilen. Was die Musik anbelangt, ist allerdings eine starke Fokussierung auf das Pop- und Klassikspektrum zu beobachten, während andere Stile (z.B. Jazz, Chanson oder Volksmusik) nur marginal berücksichtigt werden.

Die Ersten Programme der drei Sprachregionen unterscheiden sich relativ stark voneinander, weisen aber alle typische Charakteristika von öffentlichen Full-Service-Programmen auf: Inhaltliche und formale Vielfalt des Angebots, hoher Stellenwert der Information und professionelle radiospezifische Aufbereitung der Inhalte. Alle haben einen hohen Wortanteil, doch La Première schwingt gegenüber Rete Uno und DRS1 klar obenaus. Deutlich sind die Unterschiede aber auch im Bereich der aufbereiteten Themen. Kulturelle Themen spielen in der Romandie auf allen Sendern eine zentrale Rolle. Die Deutschschweizer und Tessiner Ersten Programm thematisieren dafür Politik und Wirtschaft, im Tessin ausserdem Sport, entsprechend häufiger. Unterschiede bestehen aber auch in formaler Hinsicht: Typisch für Rete Uno und La Première ist zum Beispiel der kolloquiale Präsentationsstil, während bei DRS1 der Wechsel zwischen Dialekt und Schriftsprache besonders auffällt.

Insgesamt decken vor allem die Ersten Programme eine breite Themenpalette ab, wobei gesellschaftlichen Themen den grössten Raum einnehmen. Auf Espace 2 und Couleur 3 dominieren Kulturthemen. Auffallend ist aber, dass Wirtschaft in der Romandie generell einen deutlich geringeren Stellenwert hat als in den anderen Sprachregionen.

Regionaltypisch unterschiedlich präsentieren sich auch die Musikformate der Ersten Programme. Gemeinsam ist zwar allen eine starke Fokussierung auf die Stile des Pop-Spektrums und auf englischsprachige Titel, doch spielt DRS1 deutlich häufiger Schweizer Musik als die beiden anderen Ersten Programme. Bei La Première und Rete Uno fällt zudem auf, dass diese Programme praktisch keine deutschen oder schweizerdeutschen Titel ausstrahlen und nur wenige der jeweils anderen Landessprache, wohingegen DRS1 öfter auch italienische und französische Titel spielt.

Die Berücksichtigung der jeweils anderen Landesteile im Programm der SRG-Radios ist auch in der Information einigermassen limitiert. Alle drei Ersten Programme berichten neben den internationalen und nationalen Ereignissen in erster Linie über ihre eigene Sprachregion und kaum je über die anderen Landesteile. Als Thema taucht der Zusammenhalt bzw. Austausch zwischen den Landesteilen und Sprachgemeinschaften in der Untersuchungswoche ebenfalls in keinem der analysierten Programme in substanziellem Umfang auf.

Die untersuchten Programme in der deutschen und französischen Schweiz konzentrieren sich in der Erhebungswoche auf den eigenen Mikrokosmos und dessen Einbettung in den Bundesstaat und das Weltgeschehen und tragen wenig dazu bei, den Austausch zwischen den Sprachregionen und Landesteilen zu fördern. Deutlich offener gegenüber den anderen Sprachregionen ist Rete Uno.

Gemäss Konzession soll die SRG auch die Integration der Ausländer, den Kontakt zu Auslandschweizern, die Schweizer Kultur und den Zusammenhalt zwischen Religionen und Kulturen fördern. Zwar ist mit inhaltsanalytischen Mitteln die Erfüllung dieser Aufgaben nicht zu klären, doch kann deren Thematisierung im Programm überprüft werden.

In der Romandie und vor allem auf DRS1 sind Schweizer Interpreten im Musikprogramm gut vertreten, kaum der Fall ist dies auf Rete Uno. In sehr unterschiedlichem Ausmass wird Schweizer Kultur im Programm thematisiert: Mit Ausnahme von Couleur 3 ist dies aber in allen untersuchten Programmen mehr oder weniger häufig der Fall. Auf allen Sendern praktisch unerwähnt bleiben dagegen die anderen konzessionsrechtlich relevanten Themen, nämlich die Auslandschweizer-Thematik, die Integration der Ausländer und der Zusammenhalt zwischen Religionen und Kulturen. Somit lässt sich schliessen, dass die analysierten SRG-Radios in der untersuchten Woche zwar einen Beitrag zur Förderung der Schweizer Kultur geleistet haben, eher ungewiss ist jedoch, ob dies auch für die anderen konzessionsrechtlich definierten Ziele gilt.

Eine zentrale Rolle in Bezug auf die in der Konzession genannten Qualitätskriterien Glaubwürdigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Relevanz und journalistische Professionalität spielt die Vielfalt der Akteure und Meinungen sowie der Quellen. Die Akteursstruktur im Inland repräsentiert weitgehend die behandelten Themenbereiche, d.h. ein breites Spektrum in den Bereichen Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur. Der im politischen Bereich universell festgestellten Dominanz von Akteuren der Exekutivorgane können sich auch die SRG-Radios nicht entziehen. Unter den politischen Akteuren wird dem Bundesrat und den Departementen, sowie – deutlich weniger – den kantonalen und kommunalen Behörden am meisten Raum gewährt. Über andere politische Kräfte, wie Parteien oder Gewerkschaften, berichten die untersuchten Radios nur vergleichsweise spärlich.

Die verwendeten Quellen bilden die Akteursstruktur bis zu einem gewissen Grad nach. Zwischen den Sendern bestehen aber grosse Unterschiede, was die Offenlegung der Informationsquellen anbelangt. Rete Uno und Couleur 3 verzichten in über der Hälfte der Informationsbeiträge auf eine Quellennennung. Etwas transparenter berichten DRS1 und Espace 2, aber auch hier fehlen Quellenangaben in jedem fünften bzw. jedem vierten Beitrag. Einzig La Premiêre hält sich weitgehend an die journalistische Grundregel, wonach Quellen bezeichnet werden sollen. Die grossen Unterschiede zwischen den Sendern lassen vermuten, dass organisationstypische Gepflogenheiten den Umgang mit Quellen viel stärker prägen als berufliche Normen.

Quellentransparenz würde zudem bedeuten, dass auch der Zugang zur Quelle aufgezeigt wird, d.h. ob die Information bspw. von einer Agentur stammt, an einer Medienkonferenz vermittelt oder selbst recherchiert wurde. Diese Regel wird in der Romandie praktisch ignoriert, aber auch auf Rete Uno und DRS1 kann sich das Publikum nur in einem Viertel bzw. einem Drittel der Informationsbeiträge ein korrektes Bild machen. Werden lediglich die Nachrichten betrachtet, verschlechtert sich das Verhältnis noch weiter.

Die untersuchten Programme zeichnen sich durch ein hohes Mass an formaler Vielfalt aus, was sich sowohl am Einsatz der Sprecher als auch in der Verwendung journalistischer Formen ausdrückt. Letztere machen auch deutlich, dass eine neutrale, faktenorientierte Information im Vordergrund steht, denn meinungsorientierte journalistische Formen (Kommentare, Kolumnen etc.) sind praktisch nicht vertreten, umso mehr jedoch dialogorientierte Formen wie Studiogespräche, Interviews, u.ä..

Meinungs- und Perspektivenpluralismus kann sich auf verschiedene Weise äussern, z.B. indem verschiedene Positionen im Programm berücksichtigt werden, aber auch indem in einem gegebenen Kontext einer bestimmten Meinung oder Perspektive eine Alternative gegenübergestellt wird. Die direkte Konfrontation verschiedener Positionen wäre zweifellos im Interesse einer freien Meinungsbildung des Publikums. Dies geschieht jedoch in den SRG-Radios, unabhängig vom Programm, vergleichsweise selten. Rete Uno verweist noch am häufigsten auf andere Perspektiven und Meinungen, praktisch nie kommt dies bei Couleur 3 vor. Am ehesten kann das Publikum verschiedene Positionen in Presseschauen oder Studiogesprächen mit mehreren Teilnehmern wahrnehmen. In einer Nachrichtensendung oder einem Informationsmagazin werden indessen kaum je verschiedene Meinungen und Perspektiven zu einem bestimmten Sachverhalt aufgezeigt.

Diese erste Programmanalyse der Radioprogramme der SRG muss noch als Momentaufnahme interpretiert werden, zumal aufgrund einer Stichprobe von einer natürlichen Woche für bestimmte inhaltliche Charakteristika keine generellen Schlussfolgerungen gezogen werden können. Zwar manifestieren sich strukturelle Besonderheiten, die auch aus anderen, vergleichbaren Programmanalysen bekannt sind, wie stabil diese Muster sind, werden jedoch erst die Folgeuntersuchungen aufzeigen können.

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