Eine aktuelle Studie der Publicom zeigt auf, wie stark Medien und PR miteinander verwoben sind. In gut der Hälfte der tagesaktuellen Berichterstattung über Medienkonferenzen kantonaler Behörden ist keinerlei inhaltliche Eigenleistung der Medien zu erkennen. Die Kantonsregierungen profitieren derweil von positiven Reputationseffekten.
Projekt und Methode
Die Studie befasst sich mit der politischen Öffentlichkeitsarbeit der Kantone Zürich und St. Gallen und deren Verarbeitung in den (elektronischen) Medien. Im Vordergrund steht dabei die Frage, welche originären Leistungen Medien erbringen, um die von den Behörden thematisierten Sachverhalte und Ereignisse an die Öffentlichkeit zu vermitteln.
Der Kern der Studie besteht aus einer Input/Output-Analyse. Während eines Zeitraumes von zwei Monaten wurden 42 Medienkonferenzen der kantonalen Behörden in den Kantonen Zürich und St. Gallen beobachtet. Analysiert wurden einerseits die kommunizierten Inhalte anhand der Pressedokumentationen, andererseits, mittels teilnehmender Beobachtung, der Kontext, in welchem die Information vermittelt wird. Der Output in Form redaktioneller Beiträge wurde mittels Inhaltsanalysen regionaler Radio- und TV-Programme sowie der Regionaljournale von Radio DRS und führender regionaler Online-Portale untersucht. Als Referenzmedien wurden zwei regionale Tagszeitungen berücksichtigt.
Ergebnisse
Geringe Eigenleistung der Medien – mangelhafte Transparenz
Die Befunde der Studie zeigen zunächst, wie stark Medien und PR miteinander verwoben sind, denn was als Medienleistung erscheint, ist zu einem beträchtlichen Teil PR-Leistung: In gut der Hälfte der Berichterstattung über das an den Medienkonferenzen vermittelte Geschehen der Kantone St. Gallen und Zürich ist keinerlei inhaltliche Eigenleistung der Medien zu erkennen. Vielmehr handelt es sich um die unveränderte oder lediglich gekürzte Fassung der von den Medienstellen abgegebenen Texte. Nachrecherchen sind selten. Sie finden v.a. dann statt, wenn das abgegebene Informationsmaterial mangelhaft ist.
Andererseits verweigern die Medien ihrem Publikum Einsicht in die Entstehungszusammenhänge der Berichterstattung: Nur gerade in jedem fünften Beitrag über die kantonalen Medienkonferenzen wird korrekt deklariert, dass die Quelle der Berichterstattung eine Medienkonferenz ist. Stattdessen vermitteln die meisten Beiträge den Eindruck, sie beruhen auf Eigeninitiative des Mediums. Von welcher Organisation oder von welchen Personen die Informationen stammen, bleibt in jedem vierten Beitrag völlig im Dunkeln.
Positive Reputationseffekte für Behörden
Die Ergebnisse zeigen auch, dass Behördenkommunikation nicht einfach wertfrei ist: Die meisten der an den Medienkonferenzen abgegebenen Texte enthalten Äusserungen, welche die kantonalen Behörden bzw. ihre Repräsentanten positiv qualifizieren. Zwar neutralisieren die Medien diese Selbsteinschätzung ein wenig, dennoch erwachsen den kantonalen Behörden durch ihre Medienarbeit deutlich positive Reputationseffekte: vier von fünf Medienkonferenzen tragen zu einem positiven Bild der kantonalen Behörden bei. Eine behördenkritische Berichterstattung ist äusserst selten.
Die PR-Akteure haben auch das Themen-Management gut im Griff: Die überwiegende Mehrheit der Medienkonferenzen führt zu einer Berichterstattung, bei der das dominante Thema mit dem Hauptthema der Medienkonferenz identisch ist, d.h. es finden kaum Umgewichtungen oder neue thematische Interpretationen des präsentierten Stoffes statt.
Selektion und Reduktion als Hauptfunktionen
Selektion und Reduktion stellen die Hauptfunktion des Mediensystems dar. Eine starke Selektion findet zunächst auf Ebene der Medienkonferenzen statt. Zwar können die kantonalen Behörden, die eine Medienkonferenz veranstalten, in der Regel mit Berichterstattung rechnen, doch der Output schwankt erheblich – je nach Ereignis. Alles entscheidend für den quantitativen Erfolg einer Medienkonferenz ist die Attraktivität der vermittelten Thematik aus Sicht der Medien. Daneben gehört auch die Informationsreduktion zu den wichtigsten Medienleistungen. Diese besteht zum Beispiel darin, Nebenthemen und Inhalte, die als weniger wichtig empfunden werden, zu eliminieren. In einem Punkt geht die Medienleistung aber deutlich über Selektion und Reduktion hinaus: Das Mediensystem stellt das politische Geschehen in den Kantonen als wesentlich konfliktreicher dar als die kantonale PR dieses präsentiert. Die Akzentuierung von Konflikten kann auch als Emotionalisierung des Politgeschehens verstanden werden und soll wohl zu einer erhöhten Aufmerksamkeit des Publikums führen.
Keine entscheidenden Veränderungen in den letzen 20 Jahren
Im Vergleich zu den Ergebnissen der 1986 durchgeführten Studie über die Beziehung zwischen Public Relations und Medien in der Schweiz, ist festzustellen, dass entscheidende Veränderungen dieser Beziehung in den letzten 20 Jahren trotz Vormarsch des Internet und der elektronischen Medien nicht eingetreten sind. Schon 1986 beschränkte sich die Medienleistung im wesentlichen auf Selektion, Reduktion und Neutralisierung. In einem Punkt hat sich aber die Situation noch akzentuiert: Die Tendenz der Medien, die Entstehung der Informationen zu verschleiern ist heute noch stärker ausgeprägt. Korrekte Quellenangaben finden sich noch wesentlich seltener als vor 20 Jahren. Hat sich – zumindest in diesem Punkt – die publizistische Qualität verschlechtert, ist auf der anderen Seite der Professionalisierungsgrad der behördlichen Öffentlichkeitsarbeit deutlich angestiegen.
Die Ausdehnung des Mediensystems seit 1986 und die damit verbundene Zunahme des Wettbewerbs haben aber nicht zu einer substanzielleren Medienleistung geführt. Dies verhindert schon der erheblich verschärfte Aktualitätswettbewerb. Die Tatsache, dass fast zwei Drittel der Online-Beiträge und gut die Hälfte der Radiomeldungen innerhalb von nur vier Stunden nach der Medienkonferenz publiziert werden, sagt schon viel über die Möglichkeiten dieser Medien aus, die Berichterstattung substanziell zu ergänzen. Die oft als wichtige Medienfunktion proklamierte Kommentierungsleistung wird noch am ehesten in den Zeitungen gepflegt. Auch zusätzliche Recherchen realisieren die Zeitungen häufiger als die elektronischen Medien und Online.
Gesamthaft betrachtet ist die inhaltliche Leistung der (privaten) Radio- und Fernsehstationen im Bereich der Berichterstattung über kantonale Medienkonferenzen bescheiden. Ihr Beitrag zum „Service public“ besteht primär darin, Öffentlichkeit für die Anliegen der beiden Kantonsregierungen herzustellen.
Einseitige Interessendurchsetzung wenig wahrscheinlich
Die Hauptleistung der tagesaktuellen publizistischen Medien, Selektion und Reduktion des von den PR-Akteuren bereitgestellten Informationsangebotes, impliziert auch eine Gewichtungsfunktion, die letztlich die Aufmerksamkeit des Publikums steuert. Indem die Medien bestimmen, ob Sachverhalte und Themen publikationswürdig sind, steht ihnen gegenüber den PR-Interessen ein wirkungsvolles, disziplinierendes Instrument zur Verfügung. Dieses zwingt die PR-Akteure zu einer Vorselektion und –reduktion der Themen und Informationen nach den Regeln des Mediensystems. Eine einseitig unkontrollierte Interessendurchsetzung ist unter diesen Umständen wenig wahrscheinlich. Allerdings ist angesichts der Verteilung der ökonomischen Gewichte zwischen PR und Medien und der fortschreitenden raschen Professionalisierung der Öffentlichkeitsarbeit damit zu rechnen, dass sich die Stärkeverhältnisse weiterhin zugunsten der PR verschieben.
Es ist z.B. anzunehmen, dass die Öffentlichkeitsarbeit ihren Einfluss auszubauen versucht, indem sie sich etwa moderner Methoden des „Issue-Managements“ bedient, um durch geschickte Themen-Selektion und –Aufbereitung die Wahrnehmungsfilter der Medien zu durchbrechen. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit sich die Medienschaffenden dieser Zusammenhänge bewusst sind und welche Instrumente ihnen zur Verfügung stehen, um damit umzugehen. Wenn Selektion die Hauptfunktion ist, müssten sie die diesbezüglichen Kriterien systematisch hinterfragen und Mechanismen entwickeln, um den Vereinnahmungstendenzen durch professionelle PR-Akteure zu widerstehen. Inwiefern dies geschieht, ist jedoch zweifelhaft. Angesichts der Informationsflut wird es nämlich immer schwieriger, „objektiv“ zu ermitteln, was relevant ist und was nicht. Deshalb orientieren sich die Medien zunehmend an einer Art „Mainstream- Themenagenda“, was u.a. dazu führt, dass einzelne Themen kurzfristig stark dominieren.
Der durch die Online-Medien noch verschärfte Aktualitätsdruck, dem die tagesaktuellen Medien heute ausgesetzt sind, akzentuiert diese Problematik weiter und schwächt letztlich die Position der Medien gegenüber den organisierten Interessen. Einfache Handlungsroutinen und Orientierungsmuster treten deshalb an die Stelle eines reflektierten Umgangs mit interessierten Quellen. Das Resultat ist zwar ein Mehr an (redundanter) Information, aber ein Weniger an Tiefe, Reflexion und Hintergrund. Im Interesse einer funktionierenden Demokratie kann dies gewiss nicht sein.