Programminhalte spielen in der aktuellen medienpolitischen Debatte – implizit oder explizit – eine wichtige Rolle. So verteidigt nicht nur die SRG ihr Gebührenprivileg mit inhaltlichen Argumenten, auch die Privaten legitimieren ihre Forderung nach (mehr) Gebührengeldern mit angeblich erbrachten „Service public“-Leistungen. Doch was unterscheidet die öffentlichen Radioprogramme von den privaten? Stimmt es, dass die Radioprogramme sich immer ähnlicher werden? Wir haben im Sommer 2002 die Tagesprogramme von neun Radiosendern bezüglich Inhalt und Format analysiert.
Anders als im Marketinglehrbuch
Die Schweizer Radiolandschaft besteht mehrheitlich aus Regionen, in denen die öffentlichen Programme der SRG einem privaten Quasi-Monopol gegenüberstehen. Konkurrenzverhältnisse zwischen mehreren Privatradios und den SRG-Sendern sind hingegen in den grossen urbanen Agglomerationen vorzufinden. Um diese Situation modellhaft abzubilden, wurden die Radios in den Räumen Lausanne (La Première, Lausanne FM, Framboise) und Zürich (DRS1, DRS3, Radio 24, Hitradio Z), dazu die ländlichen Stationen BeO (Berner Oberland) und Chablais in die Untersuchung einbezogen.
Der Konkurrenzdruck hat offenbar den stärksten Einfluss auf die Programme. Allerdings scheinen diese Kräfte anders zu wirken, als es das Marketing-Lehrbuch vorsieht. Dieses verlangt von Akteuren in dicht besetzten Märkten, Strategien zu entwickeln, „um sich deutlich gegenüber den Wettbewerbern abzugrenzen“ (Manfred Bruhn). Doch das Gegenteil ist der Fall: Anstatt einer Produktdifferenzierung ist eine Homogenisierung festzustellen. In Situationen mit hoher Wettbewerbsintensität tendieren die privaten Radiostationen offenbar dazu, ihre Programmstrategien ähnlich auszurichten: Das Musikformat wird verengt und auf Hitparadentitel konzentriert. Aus dem Pop-Schema fallende Musikstile, unbekannte und ältere Titel werden weitgehend eliminiert. Die Information beschränkt sich auf ein Minimum und wird mit Boulevardelementen angereichert. Und um die Unterscheidbarkeit sicherzustellen, setzen die Stationen in hohem Masse akustische Erkennungsmerkmale ein.
Spektrum in geschützten Räumen breiter
Diese Trends machen die in geschützten Monopolräumen agierenden Privatradios in deutlich geringerem Ausmass mit. Ihr Musikformat umfasst ein wesentlich breiteres Stilspektrum, das vermehrt auch nicht-englische und ältere Titel, sowie auch solche ausserhalb des Pop/Rock-Spektrums integriert. Radio BeO z.B. positioniert sich, was das Musikformat anbelangt, zwischen den beiden SRG-Konkurrenten, allerdings näher bei DRS1.
Im Bereich der Information scheint Wettbewerb zu einer Quantitäts- und Qualitätseinbusse zu führen. So ist die Informationsleistung von Hitradio Z geringer als der Output an akustischen Erkennungsmerkmalen, und Lausanne FM strahlt mehr Werbung aus als Information. Demgegenüber bieten die weitgehend geschützt agierenden – und notabene mit Gebührengeldern unterstützten – Radios im Berner Oberland und Chablais eine quantitativ und qualitativ bessere Informationsleistung als die meisten anderen Privatradios. Radio Chablais z.B. strahlt deutlich mehr Informationen aus als die anderen untersuchten Privatradios und liegt sogar vor DRS3. Zur Informationsvielfalt tragen aber vor allem die ersten SRG-Programme bei, die qualitativ und quantitativ klar die stärkste Leistung bieten.
Zürcher Radios nahezu austauschbar
Das Grundmuster – Homogenisierung in dicht besetzten Märkten, Komplementarität in den privaten „Monopolräumen“ – tritt in der deutschen Schweiz noch etwas deutlicher hervor als in der Westschweiz. Die Programmformate der beiden Zürcher Hauptkonkurrenten sind nahezu austauschbar. Aber auch das mit Gebührengeldern finanzierte DRS3 praktizierte zum Zeitpunkt der Erhebung eine weitgehend identische Programmstrategie: Zwar ist seine Informationsleistung eine Spur reichhaltiger und sein Musikprogramm um eine Nuance weniger hitparadenlastig, und natürlich fehlen bei ihm die Werbung und die lokalen News, ansonsten ist aber sein Format von demjenigen der privaten kommerziellen Sender nicht zu unterscheiden.
Die untersuchten welschen Privatradios grenzen sich hingegen etwas stärker ab. Die nur teilweise deckungsgleichen Versorgungsgebiete und die geringere Konkurrenz durch die Radios der SSR erklären diese etwas grössere Formatvielfalt als in der deutschen Schweiz. So positioniert sich beispielsweise das erste SSR-Programm La Première noch konsequenter als Informationsradio als dies in der Deutschschweiz DRS1 tut. Der Musikanteil von La Première liegt bei lediglich 20% (welsche Privatradios: 64%), und die Information beansprucht rund drei Fünftel der Sendezeit (welsche Privatradios: 12%). Die Pläne von RSR, ein (zusätzliches) Nachrichtenradio zu lancieren, erscheinen angesichts des bereits sehr hohen Informationsanteils von La Première als einigermassen verwegen.
Eine offene Frage bleibt, ob die verfolgten Programmstrategien eine Antwort auf unterschiedliche Publikumsbedürfnisse in den jeweiligen Räumen sind oder ob andere Faktoren eine Rolle spielen. Denkbar ist nämlich auch, dass sich die Programmstrategie privater Anbieter am (erfolgreicheren) Konkurrenzprogramm orientiert. In den privaten Monopolgebieten wären dies die SRG-Programme, in den kompetitiveren, urbanen Regionen die jeweilige private Konkurrenz. Abzuklären wäre aber auch der Einfluss von Programmberatern. In den letzten Jahren haben sich zahlreiche Radios von – ausländischen – Programmkonsulenten beraten lassen. Die dabei applizierten Rezepte sind sich sehr ähnlich und führen deshalb auch zu ähnlichen Resultaten. Allerdings wechseln sich die Paradigmen in rascher Folge ab. Diese Paradigmenhektik, verbunden mit ebenso häufigen Positionierungswechseln der Konkurrenz, mag ein Grund dafür sein, dass sich seit 1998 die Programmformate vieler Radios mehrere Male z.T. markant verändert haben und sich weiterhin verändern, wie der neuerliche Richtungswechsel von Hitradio Z zu Energy Zürich und die Ausbaupläne im Bereich Information und Musik bei DRS3 eindrücklich bestätigen. Für Dynamik im Radiomarkt ist also weiterhin gesorgt.