Dass Radiohören viel weniger zum Zappen verleitet als Fernsehen ist seit einiger Zeit bekannt. Wenig wusste man bisher aber über die Hintergründe dieses Phänomens. Die Medienconsultingfirma Publicom und das kommunikationswissenschaftliche Institut der Universität Lugano (ISSCom) untersuchten – unterstützt durch das BAKOM – erstmals in der Schweiz diese Frage.
Simon S. (24) ist im Baufach tätig und viel mit dem Auto unterwegs. Das Radio ist sein ständiger Begleiter. Zwischen acht und zehn Stunden täglich ist es eingeschaltet. Silvia M. (54) ist Hausfrau und arbeitet stundenweise als Musiklehrerin. Sie hört vor allem zu Hause Radio. Obwohl ihr täglicher Radiokonsum mit ein bis zwei Stunden eher unterdurchschnittlich ist könnte auch sie sich ein Leben ohne Radio nicht vorstellen. Simon S. und Silvia M. gehören beide zur seltenen Spezies der „Wechselhörer“, d.h. sie konsumieren nicht bloss ein einziges, sondern regelmässig mehrere Radioprogramme. Dies, d.h. häufig auf ein anderes Programm umschalten, tut nämlich bloss eine Minderheit von etwa zehn Prozent der radiohörenden Bevölkerung.
Höchst unterschiedliche Zapping-Motive
Ihre Beweggründe sind aber völlig verschieden. Simon S. hat das Radio meist den ganzen Tag eingeschaltet hat, er braucht den Sound sozusagen als Dauerberieselung und hört meist nur richtig hin, wenn Nachrichten kommen oder Staumeldungen verbreitet werden. Hingegen switcht er sofort auf einen anderen Sender, wenn ihn ein Musikstück oder ein Wortbeitrag nervt. Gegenüber Werbung ist er aber eher tolerant.
Silvia M. dagegen hört ganz gezielt mehrere Radioprogramme. Beim Aufstehen hört sie die Nachrichten im Lokalradio. Kurz nach acht schaltet sie um auf DRS1, um die Sendung Espresso zu hören, und abends schaltet sie das Gerät ein für das Regionaljournal. Die Werbung, die morgens auf dem Lokalsender ausgestrahlt wird, findet sie zwar manchmal lästig, verleitet sie aber selten zum Umschalten.
Toleranz gegenüber Werbespots
Drei typische Gruppen von Wechselhörerinnen und Wechselhörern konnte das Publicom/ISSCom-Projektteam ausfindig machen, und zwar in beiden Untersuchungsregionen, im Tessin und in der deutschen Schweiz. Die meisten dieser Leute haben einen Lieblingssender, zu dem sie immer wieder zurückkehren und dem sie auch meistens treu bleiben. In bestimmten Hörsituation wechseln sie aber den Sender. Werbung ist aber meistens – anders als beim TVKonsum – nicht der Grund fürs Zappen, denn diejenigen, die sich an Werbung massiv stören, hören a priori einen SRG-Sender.
Die Hörerinnen und Hörer der privaten Radios bringen also erstaunlich viel Toleranz für Werbeunterbrechungen auf. Das heisst nun aber nicht, dass sie den Werbespots aufmerksam zuhörten. Der Grund dafür liegt eher in einem für den Radiokonsum typischen Nutzungsmuster, das es erlaubt, dieses Medium selbst bei permanenter Präsenz selektiv zu nutzen. Oszilllierende Aufmerksamkeit könnte man dieses Verhalten nennen. Dies bedeutet, dass die Zuwendungsintensität sich je nach Programminhalten ändert. Bei den Nachrichten wird aufmerksam hingehört, bei den Werbespots wird weggehört. Dieses Weghören funktioniert auch bei anderen, subjektiv als störend empfundenen Programmelementen, z.B. bei Wortbeiträgen. Allerdings nur so lange als die „Störung“ nicht zu lange andauert. Simon S. bringt es auf den Punkt: „Ein bisschen Werbung ist o.k., es ist eine Frage des Masses“. Mit anderen Worten: Dauert der Werbeblock zu lang, nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass der Geduldsfaden reisst.
Beim Radiokonsum spielt offenbar das psychische Zapping, das Weghören, eine wichtigere Rolle als der tatsächlich vollzogene Programmwechsel. Dies im Unterschied zum Fernsehen. Dort ist die Zuwendungsintensität in der Regel höher, und es ist schwieriger, sich unerwünschten Inhalten durch „Wegsehen“ und „Weghören“ zu entziehen. Die radikalere Variante des Zappings, der Griff nach der Fernbedienung ist demzufolge häufiger.
Angaben zur Studie
- Projektleitung: Prof. Ulrich Saxer, ISSCom, Lugano Dr. René Grossenbacher, Publicom AG, Kilchberg-Zürich
- Untersuchungsregionen: Tessin, Deutsche Schweiz
- Methode: Kombinierte Befragung mit 600 Telefoninterviews (radiohörende Bevölkerung) und 60 persönlichen Tiefeninterviews (Wechselhörern).
- Finanzierung: Bundesamt für Kommunikation, Publicom, ISSCom, SRG idée suisse